In vielen Organisationen wird Führung immer noch mit Sichtbarkeit, Einfluss und Entscheidungsmacht gleichgesetzt. Die Führungskraft als „Star“, der alles weiß, alles lenkt und als Held vorangeht, ist ein hartnäckiges Narrativ – besonders in hierarchisch geprägten Strukturen. Ich habe viele Jahre als Konzerngeschäftsführer im Gesundheitswesen gearbeitet und kann ein Lied davon singen.
Doch gerade in komplexen, dynamischen Systemen zeigt sich immer deutlicher: Wirkungsvolle Führung funktioniert anders. Nicht im Alleingang, sondern im Zusammenspiel. Nicht als Solist, sondern als Dirigent eines Orchesters.
Die Illusion der Allmacht
Viele Führungskräfte geraten unbewusst in die Falle, sich über ihre Rolle zu definieren: „Ich muss vorangehen“, „Ich bin verantwortlich“, „Ich darf mir keine Schwäche erlauben“. Diese inneren Glaubenssätze wirken wie Antreiber – sie erzeugen Druck und führen häufig zu einem überhöhten Anspruch an das eigene Wirken. Der Preis? Isolation, Erschöpfung und eine Abkopplung vom Team.
In meiner Arbeit als systemischer Coach beobachte ich oft, wie Führungskräfte über diese Rolle stolpern. Sie sind brillante Fachkräfte, strategisch denkend, hoch engagiert. Doch sie spüren, dass sie etwas verlieren: die Verbindung zu ihrem Team, die Leichtigkeit im Miteinander, das Vertrauen in geteilte Verantwortung. Die „Star-Rolle“ glänzt – aber sie blendet auch.
Die Kraft des Systems nutzen
Der systemische Blick richtet sich auf die Wechselwirkungen – nicht auf einzelne Heldenfiguren. Organisationen sind lebendige Systeme, in denen alles mit allem verbunden ist. Führung wirkt nicht linear, sondern zirkulär. Das bedeutet: Wie eine Führungskraft auf ihr Team wirkt, hängt immer auch davon ab, wie das Team auf sie wirkt – und umgekehrt. Es geht weniger darum, alles zu wissen oder zu kontrollieren, sondern darum, Beziehungen zu gestalten und Räume zu öffnen, in denen andere ihr Potenzial entfalten können.
Wahre Führungsmacht liegt nicht im „Besserwissen“, sondern im „Besserfragen“. Sie zeigt sich in der Fähigkeit, Perspektiven zu integrieren, Konflikte auszuhalten und Entwicklungsräume zu gestalten. Der Teamplayer denkt nicht in „ich“, sondern in „wir“. Und das ist kein Zeichen von Schwäche – sondern von Souveränität.
Vom Held zur Holding Power
Eine zukunftsgerichtete Führung verschiebt den Fokus: Weg vom Heldenmythos, hin zur sogenannten „Holding Power“ – der Fähigkeit, Unsicherheit, Ambivalenz und Spannung auszuhalten, ohne vorschnelle Lösungen zu liefern. Statt schnelle Antworten zu geben, stellt die systemische Führungskraft gute Fragen. Statt Richtung vorzuschreiben, schafft sie Orientierung. Statt allein zu ziehen, aktiviert sie Selbstorganisation.
Das bedeutet nicht, dass Führung sich auflöst oder beliebig wird. Im Gegenteil: Sie wird klarer, bewusster, wirksamer. Die Führungskraft als Teamplayer hat den Mut, sich selbst zu hinterfragen, Verantwortung zu teilen und Vertrauen zu investieren – auch wenn das Ergebnis nicht hundertprozentig planbar ist.
Fazit: Ein Ja zur Macht – aber neu gedacht
„Star oder Teamplayer?“ ist keine Entweder-oder-Frage. Es ist eine Frage nach der inneren Haltung. Führung darf glänzen – aber nicht um ihrer selbst willen. Sie darf sich zeigen – aber nicht im Alleingang. Die wirkliche Macht der Führung liegt heute nicht im Scheinwerferlicht, sondern im Wirken im System. In der Fähigkeit, Teams zu stärken, Räume zu halten und gemeinsam mit anderen in Bewegung zu bleiben. Als systemischer Coaches ermutigen wir bei ROIOS Führungskräfte, genau diesen Weg zu gehen: mit Klarheit, Verbundenheit und echtem Interesse am Menschen.
Denn Führung, die nicht sich selbst ins Zentrum stellt, hat oft die größte Strahlkraft. Was wollen wir als Führungskräfte mehr?!