Elon Musk zerstört gerade mit den Leuten aus seinem Unternehmen ohne Rücksicht auf Verluste ganze Ministerien, Entwicklungsagenturen und Organisationen wie Radio Free Europe oder Radio Liberty – und damit das Leben von unzähligen Menschen, die sich bisher in diesen Institutionen und Organisationen engagiert haben. Aus seinem Handeln spricht ein Führungsverständnis, das Menschen auf dem Altar von Ideologien zu opfern bereit ist. Egal, was es kostet. Egal, was das für Auswirkungen auf die bisherigen Regierungsangestellten und ihre Familien hat. Egal auch, was für katastrophale Auswirkungen die faktische Zerstörung namentlich der US-Entwicklungsagentur (USAID) auf Millionen von Menschen in Entwicklungsländern hat.
„An ihren Taten werdet ihr sie erkennen …“ Es ist höchste Zeit, über das Selbstverständnis von Führungskräften nachzudenken und zu diskutieren. Ich hätte noch vor wenigen Jahren nicht geglaubt, dass in ganzen Gesellschaften die in Jahrzehnten gewachsene und reflektierte Erkenntnis, was gute Unternehmensführung ausmacht, infragegestellt wird.
„Würde“ reloaded
Deshalb positioniere ich mich an diesem Ort engagiert und deutlich: Ausgangs- und Bezugspunkt für die Beurteilung der Frage, welche Führungsphilosophie praktiziert werden soll, sind für mich die Werte, die Menschen und Organisationen prägen. Über diese Werte müssen wir neu diskutieren.
Und manches Mal denke ich dabei: Das alte Wort von der „Würde“ des Menschen kann Orientierung bieten. „Würde“ klingt alt – ist aber gerade in diesen Wochen wieder hochaktuell, sogar politisch. Aber eben auch im Unternehmenskontext.
In Führungscoachings verweise ich manchmal auf eine Holzskulptur des Bonner Künstlers Ralf Knoblauch, die mich in unserem Haus in Bendorf am Rhein an die Grundhaltung erinnert, die jeder Führungsarbeit zugrunde liegen sollte: Der Bildhauer Knoblauch schafft Königs- (und Königinnen-)Skulpturen und vergegenständlicht so die königliche Würde jedes Menschen.
Führungskraft und Geführte …
Das Bewusstsein dieser Würde soll nicht nur die Werthaltung einer Führungskraft gegen über Mitarbeitenden prägen – was schon viel ist! Denn diese Haltung lässt Führungskräfte in den ihnen zugeordneten Mitarbeitenden vor allem deren Würde, Stärken und Möglichkeiten sehen. Das bedeutet dann: die Stärken stärken, für zugeordnete Aufgaben befähigen und die (manchmal verborgenen) Möglichkeiten und Potenziale wecken.
Die Königswürde betrifft auch die Führungskräfte selbst: Es ist nämlich manchmal noch viel schwieriger, dass ein Mensch in Führungsverantwortung nicht nur seine eigenen Grenzen und Fehler sieht, sondern auch seine Würde und Größe – die mehr ist als ein zu beziffernder Wert. Die Führungskraft ist auch selbst Mensch und Person und nicht zu reduzieren auf den Wert, den sie für das Unternehmen darstellt. Ich erinnere mich an hochemotionale Situationen, in denen es aus einem Menschen herausgebrochen ist: Es geht so nicht weiter. Ich will mich selbst nicht versklaven lassen von den Erwartungen, die andere an mich haben – und mich selbst dabei verlieren.
Würde ist unbezahlbar.
Immanuel Kant unterscheidet in seiner Moralphilosophie zwischen Wert und Würde. Der Wert ist nach Kant etwas, das durch äußere Umstände, Bedürfnisse oder Präferenzen bedingt ist. Dinge oder Handlungen haben einen Wert, wenn sie einen Zweck erfüllen oder einen Nutzen haben. Dies nennt Kant einen relativen Wert oder Marktpreis. Ein solcher Wert ist kontingent und kann durch andere Dinge ersetzt werden, die denselben Zweck erfüllen könnten. Werte sind also tauschbar und hängen von subjektiven Präferenzen ab.
Würde ist nach Kant demgegenüber ein Begriff, der nur auf Personen oder moralische Subjekte anwendbar ist. Menschen haben eine Würde, weil sie als autonome, vernünftige Wesen in der Lage sind, nach moralischen Prinzipien zu handeln.
Würde erweist sich für Kant deshalb als absoluter Wert, der nicht relativiert werden kann, über allem anderen steht. Er ist nicht mit etwas anderem aufwiegbar oder durch etwas anderes austauschbar. Sie gründet in der Fähigkeit des Menschen, das moralische Gesetz in sich zu erkennen und danach zu handeln. Diese Fähigkeit macht ihn zum Zweck an sich selbst, der niemals nur als Mittel gebraucht werden darf. Dinge, die nützlich oder begehrenswert sind, haben einen Wert. Dieser ist relativ und austauschbar. Personen aber haben Würde – und Würde ist absolut und unveräußerlich.
Diese Unterscheidung ist zentral für Kants Ethik, insbesondere für die zweite Formulierung des kategorischen Imperativs: „Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zu gleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“ Niemand darf darauf reduziert werden, dass er oder sie für andere nützlich und brauchbar ist! Aber wie oft verdrängen wir diesen Gedanken in den Anforderungen des Alltagsgeschäfts?!
Führung und Ressourcen
Manche Führungskultur in Unternehmen würde auf den Kopf gestellt, wenn diese Haltung prägend wäre. Aber immer wieder mache ich auch die Erfahrung, dass Führungskräfte genau aus dieser Haltung heraus Veränderungen in ihrer Organisation anstoßen.
Das Beratungs- und Coachingkonzept von ROIOS geht von der Würde jedes Menschen aus und stützt eine doppelte Ressourcenorientierung:
Diese trägt zum einen dazu bei, dass Führungskräfte sich ihrer eigenen Würde bewusst sind und bleiben – gerade auch in kritischen Zeiten in ihrem Unternehmen. Dazu gehört auch, dass sie sich fragen dürfen: Entspricht das, was ich hier tue, eigentlich noch meinen eigenen Stärken und Ressourcen und dem, was ich selbst in meinem Leben erreichen will?
Zum anderen soll das Bewusstsein von der Würde jedes Menschen die Haltung von Führungskräften fördern. Denn dann werden sie die Stärken der Menschen in ihrem Verantwortungsbereich wahrnehmen und an diesen ihre Führungsarbeit orientieren: „Stärken stärken“ ist das Leitmotiv. Elon Musk würde deshalb wahrscheinlich wohl nicht unser Kunde. Schade eigentlich …