Wenn Kontrollfreak und Laissez-faire aufeinandertreffen

Autor: Albert-Peter Rethmann

Ein Erfahrungsbericht aus der Fรผhrungspraxis

Fรผhrung ist selten ein Solo, meistens ein Zusammenspiel. Doch was passiert, wenn zwei sehr unterschiedliche Persรถnlichkeiten ein gemeinsames Fรผhrungsteam bilden? Genau diese Situation erlebten wir in einem Coachingprozess: Auf der einen Seite eine Fรผhrungskraft mit starkem Kontrollbedรผrfnis, detailorientiert und strukturliebend. Auf der anderen Seite ein eher laissez-fairer Kollege, der Freirรคume schรคtzt, vieles laufen lรคsst und Entscheidungen gern offen hรคlt.

Zu Beginn stand ein zentrales Problem: Beide sollten gemeinsam eine grรถรŸere Organisationseinheit im Unternehmen fรผhren, hatten jedoch keinerlei gemeinsames Fรผhrungsverstรคndnis. Die Mitarbeitenden spรผrten die Unterschiede deutlich โ€“ mal herrschte eine Atmosphรคre von โ€žzu viel Kontrolleโ€œ, dann wieder das Gegenteil: โ€žjeder macht, was er willโ€œ. Die Folge: Irritationen, Unsicherheit und Spannungen.

Der Weg รผber Werte

Im Prozess entschieden wir uns, nicht sofort รผber Methoden oder Strukturen zu sprechen, sondern รผber Werte. Jede der beiden Fรผhrungskrรคfte brachte in einem moderierten Austausch ihre zentralen Werte auf den Tisch: Sicherheit, Transparenz und Verlรคsslichkeit auf der einen Seite, Vertrauen, Autonomie und Entwicklung auf der anderen.

Dieser Austausch wirkte wie ein Augenรถffner. Beide erkannten, dass ihre Haltungen nicht einfach โ€žrichtigโ€œ oder โ€žfalschโ€œ sind, sondern Ausdruck verschiedener, aber gleichermaรŸen wertvoller Perspektiven auf gute Fรผhrung.

Von Werten zu Regeln

Auf Basis dieser gemeinsamen Verstรคndigung entwickelten die beiden konkrete Regeln der Zusammenarbeit:

  • Klare Absprachen: Wichtige Entscheidungen werden gemeinsam vorbereitet und nach auรŸen einheitlich kommuniziert. Ringen um den richtigen Weg untereinander ist okay. Nach auรŸen aber treten sie gemeinsam fรผr die gefundene Entscheidung ein.
  • Feedback-Rituale: RegelmรครŸige, strukturierte Feedbackgesprรคche โ€“ nicht nur im Team, sondern auch zwischen den beiden Fรผhrungskrรคften selbst. Das war eine Schlรผsselentscheidung, um Fรผhrung gemeinsam leben zu kรถnnen.
  • Balance schaffen: Wer stรคrker auf Kontrolle achtet, sorgt fรผr Klarheit und Struktur; wer stรคrker auf Freiraum setzt, sichert Eigenverantwortung und Kreativitรคt. Beide erkennen an, dass der jeweils andere eigene blinde Flecken kompensieren kann.

So entstand Schritt fรผr Schritt ein Arbeitsmodus, der beide Persรถnlichkeiten berรผcksichtigt und fรผr das Team besser nachvollziehbar ist. Und ab und zu gingen sie gemeinsam zum Italiener, um nicht nur miteinander und aneinander zu arbeiten โ€ฆ

Noch kein Selbstlรคufer โ€“ aber ein Anfang

Heute, einige Monate spรคter, ist die Zusammenarbeit immer noch nicht spannungsfrei. Unterschiedliche Temperamente und Haltungen verschwinden nicht รผber Nacht. Aber: Das Team spรผrt, dass die beiden Fรผhrungskrรคfte sich ernsthaft um ein gemeinsames Vorgehen bemรผhen. Und die beiden erleben, dass sie sich nicht blockieren mรผssen โ€“ sondern sich im besten Fall gegenseitig ergรคnzen kรถnnen.

Fazit

Wenn unterschiedliche Fรผhrungsstile aufeinandertreffen, ist der erste Schritt nicht, Unterschiede zu รผberbrรผcken, sondern sie sichtbar und besprechbar zu machen. Ein gemeinsamer Werte-Dialog schafft Verstรคndnis und รถffnet den Weg zu verbindlichen Regeln. Und auch wenn Spannungen bleiben: Aus Gegensรคtzen kann ein produktives Spannungsfeld entstehen, das sowohl Struktur als auch Freiraum ermรถglicht โ€“ genau das, was Teams heute brauchen.